Ein Grünholzkanu macht Bootsbau zum Erlebnis

     



   


1. Was ist Erlebnisbootsbau?


Erlebnisbootsbau ist Bootsbau in einer seiner ursprünglichsten Ausprägungen - auf das Wesentliche reduziert.

 

Anstatt aufwendiger Holzverbindungen und Bautechniken, die handwerkliche  Präzision erfordern, wird durch eine neu interpretierte, „archaische“ und gleichzeitig effektive Bautechnik der Weg frei für rasche Erfolge und unmittelbare Erlebnisse.

Zu erfahren, wie man in kurzer Zeit mit den eigenen Händen und einfachsten Werkzeugen ein funktionierendes Fahrzeug herstellen kann, um damit im zweiten Schritt auf ruhigen Flüssen und kleinen Seen neue Horizonte zu entdecken - das ist  Erlebnisbootsbau.

Dabei stehen individuelle Lernprozesse gleichberechtigt neben Gruppenerfahrungen.

Erlebnisbootsbau ist überschaubar, authentisch, unmittelbar und kann neben handwerklichen Grundfertigkeiten eine Vielzahl von persönlichen und sozialen Kompetenzen ansprechen. All dies spricht für einen erfolgreichen Einsatz des „Grünholzbootes“ in Erlebnispädagogik und Teamschulung.

Im Erlebnisbootsbau bilden Erlebnispädagogik und Bootsbau eine spannende Symbiose.




2. Was ist ein „Grünholzboot“

 


Wie der Name schon sagt, ist ein „Grünholzboot“ zu einem wesentlichem Teil aus Grünholz - d.h. aus frisch geschnittenen Ästen und Zweigen gefertigt. Diese werden in Form gebogen und zusammen mit vorgefertigten Holzleisten zu einem stabilen Holzgestell verknotet. Eine wasserdichte Plane überspannt das Gerippe und dichtet es ab.

Das „Grünholzboot“ verbindet die Form eines offenen Kanus in Knickspantform mit dem Bauprinzip arktischer Kajaks und Umiaks.  Unter fachkundiger Anleitung entsteht in einer Bauzeit von  - je nach Gruppenvoraussetzung und Zielvorgabe  - nur 8 bis 15 Stunden ein tüchtiges, kippstabiles Boot, das auf Flüssen mit Zahmwasser und kleinen Seen für beschränkte Zeit gute Dienste leistet.

Es ist von zwei Erwachsenen und einem Kind gut zu paddeln, sowohl mit Stech- als auch mit Doppelpaddel.

Die erforderlichen Werkzeuge sind: eine Gartensäge, ein Schnitzmesser, eine Bohrwinde, ein Hobel – und schon kann es los gehen.

Nach erfolgreicher Fahrt können die Boote wieder auseinander genommen und überwiegend recycled werden, kein überflüssiges Material stapelt sich ... Was bei allen Teilnehmern dennoch bleibt, ist ein Gefühl der Zufriedenheit und Selbstsicherheit. Innerhalb eines Teams wird mit den eigenen Händen etwas geschaffen, was alle sicher über die  Fluten trägt – ein zukunftsweisendes Bild.

Das „Grünholzboot“ wird bewusst nicht für die Ewigkeit und nicht für extreme Benutzung (Wildwasser / offenes Meer) gebaut, sondern für einen zeitlich begrenzten Einsatz von wenigen Tagen bis Wochen. Ein längerfristiger Einsatz würde anderes Material und eine aufwendigere, sorgfältigere Bauweise erfordern, wie es von erfahrenen Kajakbauern wie beispielsweise Hakola Dippel http://www.kajak-umiakundco.de/ praktiziert wird.

Im Vordergrund eines Grünholzboots stehen die unmittelbaren Bau- und Fahrerlebnisse.

 

     Padelpause auf der Weser



Steckbrief (für den technisch interessierten Leser):

·       Offenes Kanu in Knickspantform mit flachem Boden

·       Länge: 5m;  mittlere Breite: 75cm;

·       Bauweise: Holzgerüst mit Plane überspannt

·       Bauteile:

o      längs: zwei Dollbords, zwei Kimmweger, ein Kielstringer, zwei Stringer seitlich, vier Bodenstringer

o      quer: Halbspanten, Bodenwrangen, zwei Duchten

o      Bug- und Hecksteven

o      Sitzbretter

       ·       Hauptsächliche Verbindungstechniken:

o      gesicherte Rundzapfen

o      Verbinden durch den „Kreuzbund“ und anderen Bünde

·       Zuladung max:

    • zwei Erwachsene und ein Kind
    • oder: 3 Jugendliche

·       Einsatzgebiet: kleine Seen und Flüsse mit Zahmwasser

·       Lebensdauer: ohne weitere Überarbeitung wenige Wochen

·       Zusatzoptionen:

o      Ausleger

o      Besegelung

o      Verbund zu einem Katamaran


die Weiterentwicklung:

Mannschaftsboot für bis zu 8 Personen. Eine Baugruppe hat Platz in ihrem Boot!

Auch Zwischengrößen mit 4-5 Sitzplätzen sind mittlerweile erprobt. Das bewährte Bauprinzip liefert für alle Gruppen eine passende Lösung!


               

3.  Historische Wurzeln


Das Grünholzboot gehört durch die Bauweise zu den Fellbooten. Fellboote haben eine sehr lange Geschichte und sind bis in die späte Steinzeit nachweisbar. Ein Fellboot besteht aus einem Holzrahmen, der durch Leder, Fell oder heutzutage durch wasserdichten Stoff oder eine Plane abgedichtet wird. Zu den Fellbooten gehören Bullboats, Corracles, Curraghs, Kajaks und Umiaks.

 

Bullboats kommen bis heute in Nordamerika oder Teilen Asiens vor. Sie bestehen aus einem annähernd runden Holzgeflecht, traditionell mit einer Rinder- oder Büffelhaut überzogen.


Auf den britischen Inseln werden bis heute Corracles gebaut, die mit den Bullboats verwandt sind. Sie sind sehr wendig und werden überwiegend von Fischern benutzt.



                                                  Irisches Curragh


Das Curragh, in Irland und auf den Aran-Inseln gebaut, weist bereits eine richtige Bootsform auf. Um die bewegten Brandungszonen passieren zu können, ist der gesamte Bug des Bootes „angehoben“, was ihm die typische Form verleiht. Die Curraghs werden gerudert und sind teilweise mit einem Hilfssegel ausgestattet.

 

Der irische Heilige St.Brendan soll mit einem seegängigen Curragh von Irland über Island und Grönland bis nach Nordamerika gelangt sein. In der „Navigatio“ ist diese Reise scheinbar beschrieben. Mit einem originalen Nachbau aus Eschenholz und Leder fuhr Tim Severin dieselbe Strecke in den siebziger Jahren nach und versuchte dadurch die Authentizität der Navigatio zu beweisen.

 

Ebenfalls zu den Fellbooten gehören die Kajaks, Baidarkas und Umiaks. Die hochspezialisierten Kajaks (maßgefertigte Jagdboote) zusammen mit den universellen Lastbooten – (Umiaks) – ermöglichten den Inuit erst das Leben in den arktischen Regionen.


Die Bauweise der Fellboote wurde bei den bekannten Faltbooten aufgegriffen.

 

Anstelle des Begriffes Fellboot hat sich mittlerweile der englische Begriff „Skin on Frame“ (frei übersetzt: „Haut auf Rahmen“) durchgesetzt. In dieser Bautechnik werden heutzutage nicht nur die klassischen Kajaks, Baidarkas und Umiaks gebaut, sondern auch beliebige andere Bootsformen, von Segeldhingies bis zu Kanadiern.

Die Bespannung variiert mittlerweile zwischen lackiertem oder imprägniertem Segeltuch, Nylongewebe oder stabiler PVC-Plane. Auch eine Kombination unterschiedlicher Materialien ist möglich, wie es die Faltboote seit Jahrzehnten vormachen.

 


4. Entwicklung der Grünholzboot-Idee


Während eines Campingurlaubs entstand bei drei befreundeten Familienvätern aus "Langeweile" und Interesse am Bootsbau die Idee, an dem Badesee ein Boot zu bauen.

Ich hatte zuvor durch den Bau von zwei "Skin on Frame"-Kanadiern und zwei Umiaks genügend Erfahrung gesammelt; zudem standen lange Haselnussruten als Baumaterial reichlich zur Verfügung. Die übrige Familienmitglieder waren mit anderen Dingen beschäftigt und so machten sich die Väter ans Werk!


Nach zwei Tagen Bauzeit war das erste Grünholzboot geboren.






Dieses erstes Grünholzboot war ein kurzes Rundspantboot. Die Steven bestanden aus gebündelten und gebogenen, sehr dünnen Haselruten (übliche Bautechnik bei traditionellen, nordamerikanischen Birkenrinden-Kanus). Auch der Rest des Bootes bestand aus Haselnuss. Das Boot war bei der ersten Testfahrt sehr kippelig, was sich durch ein Verschieben der Weger deutlich besserte. Ansonsten war es nur für eine Person und geringe Zuladung geeignet und daher nur eingeschränkt nutzbar.


Später mit einem Ausleger, Seitenschwert und einem Sprietsegel ausgestattet, bestach es durch eine große Stabilität, konnte gut beladen werden und wurde von mir und meinem Sohn zu einer mehrtägigen Segel-Paddel-Gepäckfahrt genutzt. Das Segel ermöglichte flotte Halbwind- und Raumschotkurse. 



Die Nachfolgemodelle zeigten durch einen flachen Boden und gerade, eingezapfte Spanten große Parallelen zu dem klassischen Flachbodenumiak. Sie waren in ihren Fahreigenschaften schon deutlich stabiler.



Die ausschließliche Verwendung von Grün- und Wildholz erforderte große Kreativität bei Detaillösungen und machte aus jedem Boot ein echtes Unikat. Der Zeitaufwand erhöht sich natürlich entsprechend - bis zu zweieinhalb Tage dauerte ein entsprechender Workshop.  Ein Boot mit einfachsten Werkzeugen komplett aus selbst gesuchten Naturmaterialien entstehen zu lassen ist jedoch ein unvergleichliches Erlebnis.





Grünholzbooot mit "Gabelsteven"                                        Grüholzboot der ersten Generation



                                                                          

      

                                                       Grünholzboot mit "Headboard"



5. Baubeschreibung


Das Grundgerüst eines Grünholzbootes besteht aus drei ca. 5 Meter langen Leisten  oder gerade gewachsenen Haselnussstangen (zwei Dollbords, ein Kielweger), die durch eine mittig angebrachte Schablone vorübergehend in Form gebracht werden.



Vorne und achtern werden Bug- und Hecksteven eingefügt und sorgen für Stabilität und die nötige Rumpfhöhe.


Zwei seitlich angesetzte Leisten (Kimweger) bilden den Boden und werden durch eingebohrte Rundhölzer (Bodenwrangen) stabilisiert.




Die Verbindung zwischen diesen Längsleisten erfolgt  durch passend eingebogene, ganz frische Haslruten (Spanten).  Sie werden mit allen Längsbauteilen zu einem stabilen Rahmen verknotet. Zusätzlich angeknotete Stringer sorgen für mehr Stabilität und bessere Fahreigenschaften.

Das frische Grünholz ist flexibel und biegsam, man muss es nicht erst dämpfen um es biegen zu können.






Abschließend wird eine wasserdichte Plane übergezogen und verspannt oder fest getackert.



            

Auch Namensgebung und Bootstaufe sind sehr wichtig!





Hier sehen Sie eine kleine Flotte von Grünholzboten, die von einer Schulklasse in eineinhalb Tagen erstellt wurden. Nun liegen sie bereit zum Auslaufen. Es schloss sich eine viertägige Wanderfahrt auf der Weser an. Gut einhundert Flusskilometer brachten die Boote problemlos hinter sich.